Regisseur Franco Maresco kehrt nach seinem letzten Film über Silvio Berlusconi und dessen (mögliche) Beziehungen zur Mafia in seine Heimat im Süden Italiens, Sizilien, zurück. In erster Linie möchte er aus Palermo über Festivitäten zu Ehren der vor 25 Jahren ermordeten Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino berichten. Bald aber läuft er seinem alten Bekannten, dem halbseidenen und windigen „Event-Manager“ Ciccio Mira über den Weg, der bisher eher als Casa Nostra-Apologet bekannt war. Nun scheint er sich gewandelt zu haben, er will im Problemviertel ZEN ein großes Festival für Falcone und Borsellino veranstalten und schart dafür alle (un)möglichen Künstler um sich, die diese Bezeichnung mehr als nicht verdient haben. Maresco möchte von denen (und auch anderen Bewohnern Palermos) hören, wie sie sich vor der Kamera von der Mafia distanzieren – jetzt, wo sie doch an einer Feier für zwei legendäre Mafia-Gegner teilnehmen. Doch niemand traut sich „Nieder mit der Mafia!“ oder ähnliches zu sagen. Die Groteske „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“, 2019 in Venedig prämiert, startete am 26.8. in den deutschen Kinos.

von Christian Klosz

Es fällt bereits schwer, den Wahnsinn, den dieser Film abbildet, in Worte zu fassen. Hier gilt, was man oft hört, und doch nur selten stimmt: Man muss es mit eigenen Augen gesehen haben, um es zu glauben. Knappe 2 Stunden blickt man staunend auf die Bilder, schüttelt den Kopf und kann nicht glauben, dass es sich hier um einen Dokumentarfilm und kein drittklassiges Kabarettprogramm handelt.

Wo Maresco seine Protagonisten findet, bleibt ein Rätsel, wie die sich dazu hinreißen ließen, unfassbare und unfassbar dumme Dinge vor der Kamera zu sagen, ebenfalls. Diese Dokumentar-Satire ist wie aus Zeit und Raum gefallen, wie ein Dada-Kunstprojekt ohne Sinn, mit der Pointe, dass niemand das zu Sehende erschaffen musste, sondern dieser Mikrokosmos der Absurditäten von selbst entstanden ist, der wie die Parodie einer Parodie wirkt. Vergleichbar ist das etwa mit „Tiger King“, bei dem man auch oft ungläubig vor dem Bildschirm saß und sich fragte, ob und wie es das wirklich geben kann.

Neben dem enormen Unterhaltungswert, den „Die Mafia…“, bietet, bleibt schließlich auch die ursprüngliche Absicht von Bedeutung, die der Regisseur mit dem Dreh hatte: Der Beziehung des Süden Italiens zur Mafia bzw. der Stimmung in der Bevölkerung nachzuspüren. Dass es vielen „ganz normalen Leuten“ auch heute offenbar noch schwer fällt, sich von den Machenschaften der Casa Nostra zu distanzieren, wirkt aus der Ferne bemerkenswert und befremdlich.

Stilistisch kann Maresco auch mit einigen Assets aufwarten, die den Film zu einem kreativen Kunstwerk werden lassen: Zum einen muss viel Planung und dramaturgisches Geschick dahinterliegen, dass sich ganz normale Menschen derart entblößen, und viel Fingerspitzengefühl, das in dieser direkten und unverfälschten Form mit der Kamera einzufangen. Ein formaler Kniff ist die schwarz-weiß-Färbung der Bilder (oder Bildsegmente), sobald Ciccio Mira zu sehen ist. Und die beißend-ironische Kommentierung des Gezeigten bringt eine zusätzliche humoristische Qualität ein.

Fazit:

Alles in allem ist „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ ein enorm unterhaltsamer und sehenswerter Film geworden, der menschliche Abgründe und Exzentrizitäten erforscht, unfassbare Charaktere porträtiert und den Süden Italiens als einen Ort außerhalb von Raum und Zeit darstellt, in dem ganz eigene Gesetze gelten: Faszinierend.

Bewertung:

Bewertung: 9 von 10.

(90/100)

Bilder: © missingFILMs – im Bild: Ciccio Mira